April 2010 // Süddeutsche Zeitung

Prinzessin Diana - Eine Lady verschwindet

Im vergangenen Sommer wurde der Radiergummi der Prinzessin von Wales versteigert, der Bieter blieb anonym. Dahinter steckten zwei Künstler, die nun mit dem riesigen Gummi in Lady Dianas Leben aufräumen.

Von Dr. Christian Kortmann / Süddeutsche Zeitung

Die Schriftkultur, der es darum geht, Dinge festzuhalten, hat selbst nur ein Kurzzeitgedächtnis. Digital verschlampt benutzt man als Alternative zur Computertastatur vielleicht noch Filzstift, Kugelschreiber und manchmal sogar einen Bleistift, doch der Radiergummi, Vorfahre der Delete- oder Entfernen-Taste, ist zur Jugenderinnerung geworden. Die schönsten Exemplare dieser damals auch Ratzelfummel genannten Gummis lugten in der Schule meist aus den Etuis der Mädchen hervor, prächtige hellblaue oder hellrote Batzen, mit dem Finger angenehm eindrückbar, aber un- zweifelhaft hart im Kern. Das müssen sie auch sein, schließlich bilden sie das Gegenstück zu den Graphitminen des Bleistifts, deren-Botschaften ewig stehen bleiben, unterm stets ein wenig nach Kavaliersstart riechenden Abrieb des Radiergummis aber kleinlaut verschwinden.

Im Sommer 2009 war von einem sehr prominenten radierenden Schulmädchen zu lesen: Das Auktionshaus Ree- man Dansie im britischen Colchester versteigerte einen Radiergummi aus den Schulzeiten von Diana Spencer. 630 Euro wurden für das Andenken an die im Jahr 1997 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Prinzessin von Wales geboten – von einem anonymen Schweizer Sammler, wie es hieß. Lady Dianas Radiergummi maß stolze zwölf mal vier Zentimeter, auf der Oberseite des massiven japanischen Spaß-Accessoires prangte die Aufschrift FOR BIG MISTAKES Daneben hatte die Elevin in Phasen der Schulstundenlangeweile ihren Namen „D. Spencer“ und die Wörter „Beware“, „Bomb“ oder „Help“ gekritzelt. Der Gummi hatte nur leichte Abriebsspuren, es gab in Spencers Jugend wohl nicht viel zu radieren. Ihr „biggest mistake“ bestand nach Hofberichterstattermeinung dann ja darin, bei den Windsors einzuheiraten, Spät, aber gründlich kommt der Radiergummi doch noch zum Zug. Denn hinter dem anonymen Bieter verbargen sich die Künstler Admir Jahic und Comenius Roethlisberger aus Basel. So verstaubt diese Lady-Diana-Devotionalie nicht wie ein vertrocknetes Stück Hochzeitstorte im privaten Schrein, sondern wurde zum Teil von Jahics und Roethlisbergers Radiergummi- Kunstwerk „For Big Mistakes. Erased Drawings“ – ausradierte Zeichnungen. Diese Form der destruktiven Hommage geht auf den Künstler Robert Rauschenberg zurück, der 1953 eine Zeichnung seines älteren Kollegen Willem de Kooning wegradierte.

„In der Zeitung stand ein Artikel über die Versteigerung“, sagt Roethlisberger, „wir wussten beide sofort, dass wir den Radiergummi kaufen mussten und was wir damit machen würden. Darüber haben Admir und ich nicht mal geredet, das war ein sehr klarer Fall.“ Die beiden nahmen den Gummi in die Hand und taten, was Diana Spencer zu Lebzeiten verwehrt geblieben war: Sie räumten in Ihrem Leben auf. Mit Bleistift zeichneten sie zunächst Fotografien von öffentlichen Auftritten der Prinzessin ab und radierten sie dann wieder aus. Das Hauptmotiv, ein Triptychon, zeigt Lady Di in festlicher schwarzer Abendgarderobe zusammen mit Prinz Charles auf dem Rücksitz einer Limousine, er kühl geradeaus blickend, sie verdruckst in sich hinein kichernd. Auf den ersten Blick sieht man nur weiße Blätter hinter Glas, doch aus der Nähe erkennt man die Furchen der getilgten Bleistiftlinien. Die Kratzer im Papier werden zu Sorgen- und Zornesfalten im Gesicht, die roten Radiererspäne zu wundgeriebenen Stellen, die Krümel sammeln sich unten im Rahmen: Erlebtes kann zwar durch eigenes Zutun verblassen, aber niemals ganz ausgelöscht werden. So erinnern diese „Erased Drawings“ auch an Michel Gondrys Film „Vergiss mein nicht!“, in dem Jim Carrey Erinnerungen an die Geliebte aus seinem Gehirn löschen lässt, und gewissermaßen beim Radieren merkt, dass es ein Fehler war, überhaupt einen Radiergummi zu besitzen. Diana Spencer hätte mit den Paparazzi-Bildern sicherlich auch manche Situationen und Bekanntschaften aus ihrem Leben im öffentlichen Käfig wegradiert. Den Glauben an die handstreichhafte Magie hafte Magie kennt jeder Radiergummiveteran von sich selbst.

Ob ein misslungener Satzanfang oder eine plötzlich blöd wirkende Person im Adressbuch: Man pustet die Gum- mikrümel weg und möchte mit dem Geschriebenen auch den Inhalt vergessen. Der Radiergummi wird abgehobelt wie ein Trüffel, der kostbare Lethe spendet, er gibt etwas von seiner Materie, um das Nichts wiederherzustellen. Gut die Hälfte von Dianas Riesenradiergummi ging für das Kunstwerk drauf, der Rest steht nun unter Plexiglas auf einem Sockel, wie ein Pfeil, der zum Ausgang weist.

Süddeutsche Zeitung, Artikel
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